Weit hinten, hinter den Wortbergen, fern der Länder Vokal und Konsonant, leben die Blindtexte. Abgeschieden wohnen Sie in Buchstabhausen an der Küste der Semantik, einem Ausläufer des Phonetik-Ozeans. Ein kleines Bächlein namens Duden fließt durch ihren Ort und versorgt sie mit den nötigen Regularien. Es ist ein paradigmatisches Land, in dem Besuchern Mustertexte füllende Satzteile in den Mund fliegen. Selbst die allmächtige Interpunktion muss sich in die Blindtexte einfügen. Ein ausfüllendes, orthografisch korrektes Wortgebilde.
Eines Tages aber beschloss eine kleine Zeile Blindtext namens Lorem Ipsum, hinaus in die Weite der Grammatik zu gehen. Der alte Knabe Oxymoron riet ihr davon ab, es wimmele dort von bösen Kommata, wilden Fragezeichen, hinterhältigen Semikola, „und weißen Schimmeln“ ergänzte die immer redundante Tautologie. Doch das Blindtextchen war unbeirrbar: Es packte seine sieben Versalien, schob sich seinen Initialen an den Gürtel und machte sich auf den Weg in den Absatz.
Als es die ersten Hügel des Kursivgebirges erklommen hatte, warf es einen letzten Blick zurück auf den Satzbau seiner Heimatstadt Buchstabhausen, die Überschriften von Alphabetdorf und dem Untertitel seiner eigenen Straße, der Zeilengasse. Wehmütig lief ihm eine rhetorische Frage über die Wange, dann setzte es seinen Weg fort.
Unterwegs traf es eine Kopie. Sie warnte das Blindtextchen eindringlich, da, wo sie herkäme, wäre sie zigmal umgeschrieben worden. Alles, was noch wahrhaftig von ihr übrig wäre, sei das Wort „und“. Das Blindtextchen solle umkehren und wieder in seinen eigenen, sicheren Sinnlostext zurückkehren.
Doch dem Zureden fehlte die Überzeugungskraft und so dauerte es nicht lange, bis dem Blindtextchen ein paar heimtückische Werbetexter auflauerten, es mit Langage und Parole wehrlos machten und es in ihre Agentur schleppten, wo sie es für ihre Projekte wieder und wieder missbrauchten.
Ohne es je umzuschreiben, benutzen sie es immer noch.